Durch die Arbeit in meiner Drehbuchberatung Bang2write, lese ich jedes Jahr zahlreiche Romanideen (in Form von spekulativen Romanen ähnlich einem „spec script“), während ihre Autoren darauf hinarbeiten, sie entweder selbst zu verlegen oder sie Agenten und Verlagen zu präsentieren. Die zwei Elemente, die am häufigsten Probleme bereiten sind die Beschreibung sowie die Charaktere. Dies kommt mitnichten als Überraschung, da sie wahrscheinlich die wichtigsten Elemente eines Romans sind und Leser sie am ehesten bemerken.
Aus diesem Grund kannst du im Folgenden einige übliche Probleme finden, wie sie mir häufig in Beschreibung und Charakteren begegnen, sowie eine Erklärung, wie ich an diese in BAUCHENTSCHEIDUNG herangegangen bin.
BESCHREIBUNG
1) Grammatik, Zeichensetzung und Rechtschreibung. Niemand hat ein Problem mit dem einen oder anderen Tippfehler, denn sie passieren, egal wie vorsichtig man ist. Gleichzeitig sind stetige und offenkundige Fehler eine Garant dafür, dass ein Manuskript für den Agenten, Verlag oder Leser durchfällt. Du solltest sicher stellen, dass Du alles überprüft hast und Dir Beta-Leser zulegen, bevor Du es irgendwohin schickst. Der erste Eindruck zählt!
2) Ich-Erzähler / Dritte Person. Ob Du aus der Sicht Deines Protagonisten schreibst („Ich …“) oder *über* sie/ihn, sollte eine gutüberlegte Entscheidung sein und sollte normalerweise darauf basieren, was im Genre deiner Wahl in der Vergangenheit „so üblich“ war. Jugendromane sind im allgemeinen aus der Ich-Perspektive geschrieben, dementsprechend habe ich mich dafür auch im Fall von BAUCHENTSCHEIDUNG entschieden. Wenn Du von dem, das von Dir „erwartet“ wird, abweichen möchtest, solltest Du Dir dies gut überlegen. Möchtest Du Dich abgrenzen oder hast Du nur Angst vor dem Aufwand? Sei ehrlich zu Dir selbst.
3) Konsequenz bei den Zeitformen. Ich habe hier bereits über dieses Thema geschrieben, aber es ist es wert, wiederholt zu werden: Versuche konsequent zu sein, egal für welche Zeitform Du Dich entscheidest. Anders als beim Drehbuchschreiben, für dass die Gegenwart üblich ist, gibt es bei Romanen keine bevorzugte Zeitform. I hatte BAUCHENTSCHEIDUNG im Englischen in der Vergangenheit geschrieben, aber Christiane Steen, die Redakteurin bei Rowohlt, hat es in die Gegenwart übersetzt. Sie hat mich zunächst um Erlaubnis gefragt und dabei das gute Argument aufgebracht, dass dies zur Dringlichkeit der Situation Lizzies betragen würde.
4) Beginne dynamisch… Genauso wie Drehbücher, benötigen Romane Handlung. Wenn Du Verlags-Redakteure und Agenten auf Twitter verfolgst, wird Dir schnell auffallen, dass sie sich häufig darüber beschweren, dass auf der ersten Seite und darüberhinaus „nichts passiert“. Stattdessen, beschreiben Autoren gern jedes kleinste Detail, um die Geschichte und seine Charaktere zu etablieren. Also kommt es für geraume Zeit zu keiner echten Handlung, in einigen Fällen für zwanzig oder mehr Seiten. Fang mit einem Ereignis an, werf uns ins Getümmel! In BAUCHENTSCHEIDUNG beginnt die Geschichte mit Lizzies positivem Schwangerschaftstest: Schwangerschaft ist das Thema des Romans, also sollte dies dessen Startpunkt sein. Also wo fängt Deine Geschichte an? Du solltest hierbei an Handlung, Ereignisse und Konsequenzen denken – nicht an blumige Beschreibungen. Lass den Leser nicht warten!
5) Aber übertreib es nicht… Das durchschnittliche Drehbuch in Spielfilmlänge hat ca. 20.000 Wörter. Ein Jugendroman ist somit mehr als doppelt so lang, während ein „Erwachsenen“-Roman wahrscheinlich die dreifache Länge eines Spielfilmdrehbuchs hat. Du must also sehr viel mehr „Raum“ mit deiner Geschichte füllen. Du solltest also dynamisch beginnen, aber es nicht übertreiben. So wie bei allem Anderen im Zusammenhang mit dem Schreibprozess, geht es um Ausgewogenheit. Nimm deinen Leser an Board und involviere sie oder ihn in die Geschichte. Bei BAUCHENTSCHEIDUNG habe ich das gemacht, indem ich die Erste Szene mit dem Schwangerschaftstest als Prolog benutzt habe und in den nachfolgenden Kapiteln die verschiedenen Szenarios beschrieben habe, die sich anschließend ereignen *könnten*. Ich habe die Frage, für welches Szenario sich Lizzie letztlich entscheiden würde, bis zuletzt zurückgehalten und als Epilog verfasst, damit der Leser bis zum Schluss nicht sicher sein kann.
Wenden wir uns also ab von Beschreibung und hin zu
CHARAKTER
Obwohl Charakter für alle Formate wichtig ist, ist es nicht *immer* das Hauptaugenmerk für Drehbücher, da es andere Dinge beinhaltet, mit denen man den Zuschauer „ablenken“ kann z.B. Spektakel, Hochgeschwindigkeits-Dialogszene oder verworrene „wenn Du blinzelts, hast Du’s verpasst“-Plotmanöver.
In Fernsehen und Film geht es grundsätzlich ums Bild – „what you see is what you get“ – dementsprechend kann Deine Interpretation dieses Bildes von Deinen eigenen Erfahrungen und Gedanken abhängen. Im Gegensatz dazu, geht es beim Romanschreiben darum, sich in den Kopf Deines Charakters hineinzuversetzen. Es ist ein psychologisches Medium und eines, in dem Autoren die Motivationen, Erfahrungen und Gedanken der Charaktere bis aufs kleinste Detail erforschen können, in einer Art die auf dem Bildschirm schlicht nicht rationell wäre.
Ich lese viele Roman meiner Bang2writers. Das häufigste Problem, das ich hierbei in „Spec“-Romanen im Zusammenhang zu Charakteren sehen, ist die Idee von „Beobachten vs. Erfahren“. Drehbuchautoren können diesem Problem besonders leicht anheimfallen, wenn sie sich zum ersten Mal an einen Roman wagen (ich weiß, dass dies für mich der Fall war), aber es kann auch anderen Autoren so gehen. Dieser Punkt steht normalerweise in Verbindung mit Problemen bei der Beschreibung, insbesondere Punkt 4 auf dieser Liste: Autoren schreiben zu viel darüber WAS passiert, wenn sie sich auf die Reaktion des Charakter *auf* das Beschriebene konzentrieren sollten. Es ist ein feiner Unterschied.
Aber wie kann man es vermeiden, dass Charaktere „Zeugen“ von Ereignissen sind und sie diese stattdessen „erleben“?
i) Gedanken und Gefühle. Anders als Drehbücher, in denen das Physische im Mittelpunkt steht, befassen sich Romane vor allem mit Psychologischen. Das heißt, eine Romanautor muss „Gedanken und Gefühle“ im Bezug auf alle Ereignisse in seiner Geschichte einsetzen. Es ist kein Zufall, dass viele Examensfragen in Englischer Literatur (und gleichermaßen in Deutschprüfungen) den Schülern abverlangen, die Themen und Ereignisse eines Werkes mit Bezug auf „Gedanken und Gefühlen“ zu diskutieren. Deshalb solltest Du Dir, wann immer etwas in deinem Roman passiert, die Frage stellen, „Was DENKT mein Charakter darüber? Wie FÜHLT er/sie sich?“ In BAUCHENTSCHEIDUNG hat Lizzie jede Menge Gedanken und Gefühle darüber, was es heißt eine Mutter, eine Studentin, eine Tochter, eine Schwester, eine beste Freundin, eine Ehefrau/Freundin und eine Jugendliche zu sein – und die Art, wie sie mit Anderen in der Geschichte umgeht, reflektiert diese Gedanken und Gefühle.
ii) Ziele. Ebenso wie in Drehbüchern, haben Protagonisten in Romanen normalerweise ein Ziel, selbst wenn das nur heißt, dass sie etwas „realisieren“ müssen oder ihre Denkweise ändern. Dementsprechend sollte jedes Kapitel deines Buches Deinen Protagonisten in Richtung dieses Ziels weisen und erklären, warum es zu diesem Schluss kommt. Dadurch wird es Dir ermöglicht die Gedanken Deines Charakters zu erforschen, inklusive dessen etwaigen Widerstand gegenüber besagtem Ziel. In BAUCHENTSCHEIDUNG hat Lizzie zahlreiche, verschiedene Probleme, die ihr die Entscheidung, ob sie ihr Baby behalten sollte oder nicht, schwer machen. Das zentrale Thema ist hierbei allerdings nicht nur „Pro-Choice“, sondern „Familie und ihre Bedeutung“ – darum auch die Gedanken und Gefühle zu den oben angesprochenen Rollen.
iii) „Hier und Jetzt“ vs. „Davor“. Viele Erstlingswerke entrücken die Handlung zu sehr aus dem Hier und Jetzt, was die Charakterisierung beeinflusst, da sich Ereignisse als „zuweit zurückliegend“ anfühlen können. Leser wollen wissen was JETZT passiert und warum Charaktere „in der Gegenwart“ das tun, was sie tun und warum sie sich verhalten, wie sie sich verhalten. Ereignisse aus der Vergangenheit können ihren Zweck und Nutzen haben, aber das sollte nicht zum Nachteil dessen geschehen, was in der Gegenwart passiert (was auch immer „die Gegenwart“ in diesem Zusammenhang bedeutet). In BAUCHENTSCHEIDUNG zieht Lizzie ihre Lehre aus einer Vielzahl an Erfahrungen, Gedanken, Gefühlen und sogar Vorurteilen, um ihre Entscheidung zu treffen, aber es ist entscheidend, dass sie nicht die ganzen Zeit grübelnd auf ihrem Bett verbringt.
iv) Zeitlicher Rahmen. Dies ist ein weiteres Element, bei dem sich Romane etwas bei Drehbüchern abgucken können. Wenn Deine Erzählung eine Quest oder Entscheidung beinhaltet, kann es sehr hilfreich bei der Erforschung der Motivation und Gedanken Deines Charakters sein, ein Zeitlimit zu setzen oder den zeitlichen Rahmen offen zu legen. Dies gilt insbesondere wenn eine Deadline (jedweder Art) näher rückt, aber nicht immer: Einfach gesagt, bedeutet mehr Zeit, dass mehr geschehen kann, was wiederum zu ausgeprägteren Gedanken und Gefühlen führen kann. Jedes Kapitel in BAUCHENTSCHEIDUNG führt uns von Lizzies Entdeckung (ihrer Schwangerschaft) zu ihrer Entscheidung, was sie als nächstes tut, was einen Zeitraum von einem Tag bis zu hin zu zwei ganzen Jahren bedeutet.
v) Schummle! Wie ich bereits erwähnt habe, handelt es sich bei BAUCHENTSCHEIDUNG nicht um eine Autobiographie, aber natürlich entsprechen einige meiner Erfahrung, Gedanken und Gefühle auch denen Lizzies (obwohl es wahrscheinlich nicht die sind, die Du erwartest). Gleichsam, wie jeder andere auch, habe ich mein Leben unter Leuten zugebracht – und ich habe die Erfahrung, Gefühle und Gedanken die mir Andere anvertraut haben benutzt. Aber während ich an den Charakteren und Plot arbeitete, haben sich diese angeeigneten Gefühle und Gedanken auf verschiedenen Wegen, in die ganz eigenenen der Hauptfigur verwandelt. In diesem Sinne wäre es für jene, die mich kennen, durchaus möglich, herauszupicken, welche Elemente „real“ sind, obwohl nichts exakt so dargestellt ist, wie es ihm „realen Leben“ abgelaufen ist.
Zusammenfassend schlage ich Folgendes vor, solltest Du Deinen eigenen Roman schreiben wollen:
• Mach Dir Gedanken über Deine eigene Motivation, für das Schreiben der Geschichte – wenn Du nicht weißt, warum Du sie schreiben willst, werden deine Leser nicht wissen, weshalb sie sie lesen sollten.
• Verfasse ein Pitch. Identifiziere deine Zielgruppe sowie die Stärke und Schwächen Deiner Geschichte. Mach dir klar, wer Deine Charaktere sind und wohin die Story führt. Dies wird dir helfen, beim Schreiben nicht vom Weg abzukommen und später wenn Du die Idee an Agenten und Verlage verkaufen möchtest.
• Richte besonderes Augenmerk auf Beschreibung und Charaktere. Übertreib es nicht mit Beschreibungen und vergiss nicht Ereignisse und Handlung miteinzubeziehen. Vergiss aber gleichzeitig nicht, dass Deine Charaktere diese Ereignisse erleben sollten, anstatt sie nur zu bezeugen.
Viel Glück!
IN DIESER REIHE:
# 2 – Das Pitch
# 1 – Warum diese Story?
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BIO: Matthias Fischer, aus Berlin stammend, studierte Geschichte, Japanologie und Drehbuch. Er lebt und arbeitet in London.